Die Aufstiegshelden von RB Leipzig jubeln nach dem Spiel in Lotte über den Sprung in die 3. Liga.

#OnThisDay: Das Aufstiegs-Drama der Roten Bullen in Lotte

Rückblick auf den Drittliga-Aufstieg von RB Leipzig in der Saison 2012/13 | Meilenstein auf dem Weg nach oben | Aufstiegsteam gegen Belgrad geehrt und gefeiert

Es ist Sonntag, der 02. Juni 2013 als ein Mädchenname eine ganze Klub-Entwicklung prägen sollte. Lotte.

Lotte. In diesem Fall eine 14.000-Einwohner Gemeinde nahe Osnabrück. Um 16.34 Uhr pfeift Schiedsrichter Thorsten Schriever eine denkwürdige Partie im Stadion am Lotter Kreuz ab. 

Endstand im Relegationsrückspiel zwischen den Sportfreunde Lotte (Meister Regionalliga West) und RB Leipzig (Meister Regionalliga Nordost): 2:2.

Dieses Unentschieden ist eines der wichtigsten unserer Vereinsgeschichte. Denn nach einem 2:0-Sieg im Hinspiel steht im dritten Anlauf endlich fest: 
RB Leipzig steigt in die 3. Liga auf! 

Dieser Aufstieg ist ein Meilenstein und bleibt einer der wichtigsten RBL-Erfolge. Ohne Lotte kein Schritt in die Bundesliga. Ohne Lotte kein Schritt in die UEFA Champions League. Ohne Lotte kein RBL-Weg nach oben. 

Elf Jahre liegt dieses packende Spiel zurück, über das wir immer wieder gerne reden, uns erinnern und Gänsehaut bekommen, wenn wir an dieses Spiel denken. Dieses Spiel mit all seiner Dramatik und Emotion verbindet uns als Verein, verbindet unsere Fans und verbindet vor allem auch das Team von damals.

Mit Christian Müller, Sebastian Heidinger, Dominik Kaiser und Tim Sebastian sind vier ehemalige Spieler; mit Perry Bräutigam der damalige Torwarttrainer noch heute für RB Leipzig in anderer Funktion tätig.

Im vergangenen Jahr haben wir anlässlich des zehnjährigen Lotte-Jubiläums  Aufstiegsmannschaft der Saison 2012/13 zum UEFA Champions League-Spiel gegen Belgrad eingeladen und mit ihnen ein berauschendes Fest gefeiert.
 

Drama in vier Akten: Unser Drittliga-Aufstieg in Lotte

Die Spielstatistik

RB Leipzig:
Coltorti – Müller, Hoheneder, Franke, Heidinger – Kaiser, Schulz – Röttger (C, 77. Ernst), Rockenbach (61. Morys) – Kutschke, Kammlott (86. Kammlott) – Trainer: Alexander Zorniger 

Ersatzbank: 
Bellot, Schinke, Fandrich, Frahn 


Sportfreunde Lotte: 
Buchholz – Kunert, Nauber, Willers (C), Hohnstedt – Grieneisen (69. Chahed), Gorschlüter (86. Wiwerink), Wingerter (77. D. Schmidt), Freiberger –  Prokoph, Kotuljac – Trainer: Maik Walpurgis 


Schiedsrichter: 
Thorsten Schriever 


Tore: 
1:0 Willers (26.), 2:0 D. Schmidt (90.+5), 2:1 Morys (95.), 2:2 Kutschke (110., Foulelfmeter) 


Zuschauer: 
5.604 in der ConnectM-Arena Lotte (darunter 2.000 RBL-Fans)
 

Im Interview

Unser Aufstiegsteam zu Gast

Das machen die Aufstiegshelden von Lotte heute

11 Jahre Lotte

Aus dem RBL-KLUB-Magazin 08 / September 2016 

Ein Mädchenname schreibt RBL-Geschichte 


Ungeschlagener Regionalliga-Meister

 … werden nach dem 1:1 zum Auftakt gegen die Zweitvertretung von Union Berlin erste Stimmen laut, die den Aufstieg in die 3. Liga bereits wieder zum Scheitern verurteilt sehen, findet die Mannschaft von Spiel zu Spiel besser in Form und klettert am 4. Spieltag auf Platz eins. Von dieser Position lassen sich die Roten Bullen nicht mehr verdrängen und stehen bereits drei Spieltage vor Saisonende als Meister der Regionalliga Nordost fest.  

Doch die Meisterschaft bedeutet nicht den direkten Aufstieg, den wir zuvor zweimal in Folge verpasst hatten. In der Saison 2012/13 müssen die Sieger der Regionalligen sowie der Zweitplatzierte der Südweststaffel erstmals in eine Aufstiegsrunde. Sechs Teams, von denen nur drei aufsteigen können – für RB Leipzig das gern zitierte Nadelöhr auf dem Weg in Richtung Bundesliga. „Wir sind durch die Saison marschiert, klar. Aber es war immer im Hinterkopf, dass die Meisterschaft nicht reicht, sondern es zwei Entscheidungsspiele geben wird. Wir wollten aufsteigen, wir mussten aufsteigen. Der Druck war groß und hat sich mehr und mehr gesteigert, je näher dieser Tag rückte“, erinnert sich Fabio Coltorti.  


Relegationsduelle gegen den Meister der Weststaffel

Die Auslosung am 12. Mai verfolgen die beiden in den Stadionkatakomben. Da Platz eins bereits fix ist, werden viele Stammspieler in den letzten Partien geschont. Liza Grundig, damalige Miss Ostdeutschland, zieht in der Halbzeitpause des Heimspiels gegen den FSV Zwickau die Lose. Die hübsche Berlinerin fischt den Sieger der Weststaffel (stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest) aus der Schüssel. Den vermeintlich härtesten Brocken. 

Eine Woche später ist der Gegner fix: Lotte. An diesem Tag wurde ein 14.000-Einwohner-Städtchen unverschuldet zum späteren Synonym für einen der bedeutendsten RBL-Orte. Die Frage „Erinnerste dich noch an Lotte?“ kennt jeder Bullen-Fan.  

Bevor die dramatischen Lotte-Festspiele in zwei Akten beginnen, fahren wir noch den Sieg im Sachsenpokal ein. Mit einem 4:2-Erfolg gegen den Chemnitzer FC, der damals schon in der 3. Liga spielt. 16.864 Fans in der Red Bull Arena sehen einen packenden Fußballabend. Es ist die perfekte Einstimmung auf die Aufstiegsrunde. 


30.000 Fans und eine perfekte Ausgangslage

Zum Hinspiel gegen Lotte kommen fast doppelt so viele Zuschauer. 30.104 – zum ersten Mal mehr als 30.000 in einem Ligaspiel (als solches werten wir die Aufstiegspartien, Red.). „Die Euphorie vor dem Spiel war enorm. Auch für uns war es etwas Besonderes, zuhause vor so einer Kulisse zu spielen. Während der Saison waren im Schnitt 8.000 Fans da“, erinnert sich Dominik Kaiser. „1 Traum, 2 Spiele, 3. Liga“ – dieser Slogan wird zum Leitspruch dieser Tage. Im ersten Duell läuft alles nach Plan. Auch ohne Kapitän Daniel Frahn, der nach einem Innenbandriss und Wunderheilung immerhin auf der Bank sitzt.  

Frahn-Kumpel Stefan Kutschke, bis dahin eher Mitläufer, schwingt sich zum Anführer auf und trifft in einer engen und packenden Partie nach Foul an Carsten Kammlott in der 47. Minute per Elfmeter zum 1:0. Treffer Nummer zwei legt sechs Minuten vor dem Abpfiff der eingewechselte Matthias Morys per Aufsetzer nach. „Damit hatten wir uns eine gute Ausgangsposition erspielt. Der Druck blieb trotzdem enorm hoch, alles hatte Endspielcharakter. Diese Anspannung merkte man im gesamten Verein. Viele Mitarbeiter hatten die beiden verpassten Versuche in den vergangenen zwei Jahren miterlebt. Man merkte auch eine gewisse Angst, dass es wieder schiefgehen könnte.“ 


Fanzug nach Westfalen, Public Viewing in Leipzig

Die Fans treiben hingegen auf einer Welle der Euphorie. Der Fanzug nach Lotte ist nach nur einem Tag ausgebucht, insgesamt begleiten über 2.000 Leipziger die Roten Bullen nach Niedersachsen. Zum ersten Mal zeigen Kneipen in Leipzig eine Partie von RB Leipzig live im TV. Am Cottaweg wird das Rückspiel auf einer Großbildleinwand übertragen. Der Bullentross bricht am Vortag auf. Abfahrt Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück. Übernachtung in Osnabrück, bevor es am nächsten Tag nach Lotte geht.  

Die connect-m-Arena liegt mitten zwischen Feldern, gibt der sportlich so brisanten Situation einen idyllisch Charakter, was ganz und gar nicht zur Wertigkeit des anstehenden Spiels passt. Dominik Kaiser: „Das haben wir so gar nicht mitbekommen – wir haben während der Fahrt zum Stadion nur gesehen, dass überall rot-weiße Leipzig-Fans unterwegs waren.“ Der Gästeblock ist rappelvoll und ausverkauft. Alle sind überzeugt vom Aufstieg. In 90 Minuten sind wir Drittligist, so der Grundtenor der Mitgereisten. Ein Trugschluss. Denn es entwickelt sich eine Dramatik, die in dieser Form keiner erwartet hätte.  


Der Schockmoment Sekunden vor Abpfiff

Die Partie beginnt zerfahren, es geht hart zur Sache, Lotte will das frühe Tor erzwingen, Leipzig hält mit einer gut organisierten Abwehr dagegen. Die sichert bis zur 27. Minute das 0:0, dann nickt Tobias Willers am langen Pfosten einen Freistoß ein. Willers. Auch dieser Name trägt sich in die RBL-Historie ein. Pause. Seitenwechsel. In Halbzeit zwei haben zunächst die Roten Bullen die besseren Chancen, dann kommt Lotte auf. Fabio Coltorti verhindert in der 71. Minute mit einem Riesenreflex gegen Aleksandar Kotuljac das zweite Lotter Tor. Am rechten Oberschenkel trägt der Schweizer noch eine Erinnerung aus dem Hinspiel. Die Stollenabdrücke von Amir Shapourzadeh, der für dieses Foul vom Platz gestellt wurde. „Aber das hat mich nicht behindert, auch wenn es ein schmerzhafter Tritt war. Viel schmerzhafter war das zweite Gegentor in der Nachspielzeit“, sagt Fabio und hebt die Augenbrauen.  

Es ist eine unglaubliche Anspannung im Stadion, als die reguläre Spielzeit abgelaufen ist. Aufstiegs-T-Shirts holen? Biergläser füllen? Nein! Dafür ist der Vorsprung zu knapp. Auf der Presstribüne hockt das RBL-Medienteam nägelkauend und mit dem Finger auf der Entertaste, um die vorbereitete Aufstiegsnachricht in die Online-Welt zu jagen. Sekunden später sackt der Finger an der Tastatur vorbei, sinkt der Computer auf den Boden des Lotter Stadions, als der eingewechselte Dennis Schmidt in der vierten Minute der Nachspielzeit zum 2:0 trifft und die Sportfreunde in die Verlängerung bringt. '

„Das war natürlich eine Situation, die wir erst einmal wegstecken mussten, denn es war – wie man so schön sagt – psychologisch sicherlich der schlechteste Zeitpunkt“, weiß Dominik Kaiser. Jeder Spieler verarbeitet diesen Schock anders. Fabio Coltorti erinnert sich zum Beispiel noch an Bastian Schulz: „Er brachte kein Wort mehr raus und stand weinend auf dem Spielfeld. 


Verlängerung und RBL dreht auf

Doch vor allem Daniel Frahn hat zusammen mit Alexander Zorniger und unserem Teampsychologen Philipp Laux die richtigen Worte gefunden, die uns wieder aufgerafft und in die Realität zurückgeholt haben. Denn es war ja nicht zu Ende – wir waren weiter voll im Rennen und wussten, dass wir unserem Ziel mit nur einem Tor ganz nahekommen würden.“ Die taktischen Formationen sind zu diesem Zeitpunkt längst über den Haufen geworfen. Lotte hat vier Stürmer, Leipzig vier Innenverteidiger auf dem Platz.  

Mit Anpfiff der Verlängerung sind die Roten Bullen plötzlich voll da, wirken fitter als der Gegner. „Wir haben gemerkt, dass wir mehr im Tank haben als Lotte und wir hatten natürlich auch immer die Auswärtstorregel im Kopf – ein Treffer und Lotte hätte noch zwei machen müssen“, erklärt Dominik Kaiser die Leistungssteigerung. Ralf Rangnick, den die TV-Bilder immer wieder mit angespannter Miene einfangen, hat dennoch keine Zweifel am Aufstieg: „Ich war mir nach den Gegentoren relativ sicher, dass wir es dennoch schaffen und bin deshalb ziemlich ruhig geblieben. Irgendwie wusste ich, dass es an diesem Tag nicht schiefgehen kann.“  


Morys leitet ein, Kutschke vollendet

Unser Sportdirektor sollte Recht behalten. Es läuft die fünfte Minute der Verlängerung. Matthias Morys, in der 61. Minute eingewechselt, erobert rund 30 Meter vor dem Tor den Ball, zieht an vier Gegenspielern vorbei nach links in Richtung Tor und löffelt den Ball mit rechts auf den Kasten – ein harmloser Schuss. Doch Tobias Willers hält beim Klärungsversuch seinen Kopf unglücklich hin und fälscht den Ball unhaltbar zum 1:2 ab. Es folgt eine Explosion der Emotionen. Denn allen ist klar, dass nun eigentlich nichts mehr anbrennen wird. Unsere Elf kontrolliert das Spiel, Lotte hat kaum noch etwas entgegenzusetzen.  

In der 110. Minute stürmt Bastian Schulz frei auf Sportfreunde-Schlussmann David Buchholz zu. Foul. Pfiff. Elfmeter. Erneut tritt Stefan Kutschke an, wählt die gleiche Ecke wie im Hinspiel und nagelt den Ball zum 2:2 ins Tor. Die verbleibenden Minuten sind pures Genießen. „Vierte Liga war schön, Zeit für uns zu geh’n“ wird zum symbolischen Dauer-Fangesang. 

Den letzten Viertliga-Ballkontakt hat Fabio Coltorti. Er lässt das Spielgerät zehn Sekunden vor dem Abpfiff fallen und signalisiert dem Schiedsrichter abzupfeifen. „Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Mit dem Schlusspfiff brach alles heraus. Das war der Gipfel an Emotionen – zwischenzeitlich war die Vision Bundeliga für mich so weit weg und nun hatten wir den nächsten Schritt dahin doch noch geschafft. Mit dem Wechsel nach Leipzig habe ich viel riskiert, die Trennung von meiner Familie in Kauf genommen und natürlich auch Zweifel gehabt.“  


Tränen und vier Stunden Dauerparty

Tränen fließen. Diesmal sind es Freudentränen. Dann startet die irre Aufstiegsfeier. Wenig ist geplant, vieles läuft spontan. Als die Mannschaft nach der Kabinensause in den Bus steigt, weiß sie noch nicht, was sie erwartet. „Wir dachten, es geht direkt zurück nach Leipzig. Doch plötzlich hielt der Bus an einem Bahnhof kurz hinter Lotte. Wir sind die Treppen heruntergestiegen, fast alle waren ungeduscht und hatten noch die Spielkleidung an“, erinnert sich Dominik Kaiser. Am besagten Bahnhof wartet der Fanzug. Rappelvoll mit über 600 Fans, Mitarbeitern, Wegbegleitern. 

Die Mannschaft steigt zu und es entwickelt sich eine unglaubliche Vier-Stunden-Party in den Waggons. „Diese Feier werde ich nie vergessen – was im Zug abging, war unfassbar. Im positiven Sinne“, schwärmt Dominik. Die Spieler mischen sich unter die Fans oder genießen im separaten Teamabteil den Triumph. 

Kurz vor Mitternacht dampft der Zug im Hauptbahnhof ein. Tausende Fans säumen den Bahnsteig und feiern die Aufstiegshelden an einem legendären Tag. Das dramatische Märchen von Lotte wird allen in Erinnerung bleiben. „Für mich war es der schönste der drei Aufstiege. Einfach schon deshalb, weil der Druck so ungeheuer groß war, jeder erwartet hat, dass wir es schaffen und sich der Spielverlauf so dramatisch zuspitzte“, legt sich Fabio Coltorti fest … 

 

*Dieser Text erschien im September 2016 im KLUB-Magazin von RB Leipzig.
 

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