Mindestens ein Talent wird bald regelmäßig im Stadion spielen!

Per "Pelle" Nilsson im Interview über 1 Jahr RBL Career Center | Strategie & Konzept für mehr Durchlässigkeit unserer Nachwuchsspieler in den Profibereich | Talente-Gremium | Mentale Unterstützung der Leihspieler ist elementar

Vor einem Jahr startete das RBL Career Center, das die Durchlässigkeit unserer Nachwuchsspieler in den Profibereich strategisch plant und umsetzt.

Eine zentrale Rolle spielt dabei Per Nilsson. Der ehemalige Fußballprofi arbeitet seit 2017 für RB Leipzig (2017 als Leitender Assistent des Geschäftsführers Sport, 2018 als Sportlicher Leiter Nachwuchs U16-U19) und fungiert bei den Nachwuchsbullen seit 2019 als Recruiting Specialist & Talent Development.

Per – von allen „Pelle“ genannt – kommt gerade zurück von einer kleinen internationalen Tour, bei der er Nachwuchsspieler besucht hat, die im Rahmen des Career Centers ausgeliehen wurden. Mit Tom Krauß und Dennis Borkowski (beide 1. FC Nürnberg), Eric Martel (Austria Wien, Österreich), Frederik Jäkel (KV Oostende, Belgien), Tim Schreiber (Hallescher FC) und seit Kurzem auch Fabrice Hartmann (SC Paderborn) sind sechs Talente in Europa unterwegs, um Spielpraxis zu erlangen.

Per, was war das Ziel deiner Reise zu unseren Leihspielern?

Die Vorbereitungen in der 2. Bundesliga, der Belgischen und Österreichischen Liga haben begonnen. Vor allem bei Fabrice Hartmann wollte ich vorbeischauen, weil es für ihn mit der Leihe zu Paderborn eine vollkommen neue Situation ist. Und damit meine ich nicht nur die sportliche Ebene, sondern vor allem die menschliche mit zum Beispiel einer neuen Wohnsituation und einem neuen Umfeld.

Frederik Jäkel ist in der Belgischen 1. Liga angekommen – er ist in ein neues Land umgezogen mit Anmeldungen und all diesen bürokratischen Themen. Tom Krauß und Dennis Borkowski fühlen sich in Nürnberg auch sehr wohl. Für Eric Martel bei Austria Wien passt es auch sehr gut, Tim Schreiber fühlt sich in Halle wohl. Ich war auch bei jedem Debüt der Jungs vor Ort. Bei Fabrice war der Besuch ein bisschen umfangreicher; wir haben uns viel Zeit genommen, am Abend zusammen gegessen, sodass ich in Ruhe mit ihm sprechen konnte, um zu wissen, wie alles läuft – sowohl menschlich als auch sportlich.

Wie wichtig ist diese menschliche Ebene, der Wohlfühlcharakter auch neben dem Platz?

Es ist ganz elementar und oft wird unterschätzt, wie schwierig es für junge Spieler sein kann, aus dem gewohnten Umfeld in eine neue Stadt, zu einem neuen Verein zu wechseln – ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ein Vereinswechsel ist immer eine Herausforderung, besonders bei dem Schritt ins Ausland. Es gibt so viele Themen zu beachten und wenn dann noch eine neue Sprache hinzukommt, macht es das nicht einfacher. Viele vergessen, dass es auch im Profifußball immer auch um einen Menschen geht, der performen muss. Die Spieler sind keine Roboter, die bei einem Verein überragend gespielt haben, den Club wechseln und das so fortsetzen können – gerade bei sehr jungen Spielern im Übergangsbereich passiert das so nicht. Deswegen ist bei einem Wechsel die mentale und persönliche Unterstützung mitentscheidend.

Auch die Wissenschaft unterstützt diese Annahme: Bei Neuzugängen ist das Verletzungsrisiko größer, je gestresster sich der Spieler fühlt. Deswegen ist es uns so wichtig, immer wieder vor Ort zu sein, sich blicken zu lassen, um den Jungs ein gutes Gefühl zu geben und ihnen bei der Integration zu helfen. Wie sie Fußball spielen sollen, muss ich ihnen ja nicht erklären (lacht). 

Wie genau sieht deine Rolle beim Career Center aus?

Wenn wir für die Nachwuchsspieler individuell den Übergang in den Seniorenbereich gestalten wollen, braucht man jemanden mit einem guten Netzwerk, Erfahrung im Profifußball und verschiedenen Sprachkenntnissen für die Ligen, in denen wir arbeiten wollen. Als Recruiting Specialist & Talent Development übernehme ich diese Aufgaben und bin zudem fester Ansprechpartner für die Jungs. In diesem Zusammenhang stehe ich permanent im Austausch mit der sportlichen Leitung des Clubs sowie an der Schnittstelle zu den Verantwortlichen im Nachwuchsbereich.

Ich bin sehr froh, dass wir als Club gemeinsam den Weg mit diesem Konzept gehen und ich diese Position bekleiden darf, denn es macht mir unglaublich viel Spaß.

Was ist das konkrete Ziel der Career Center Strategie?

Wir wollen unseren Nachwuchsspielern den bestmöglichen Übergang in den Profibereich bieten, sie aktiv und nachhaltig begleiten und somit den Output der gesamten Nachwuchsausbildung steigern. 

Wie wichtig ist dein nationales und internationales Netzwerk bei der täglichen Arbeit?

Viele Clubs, mit denen wir arbeiten, setzen auf junge Spieler wie z.B. die Vereine in Holland, Belgien, Österreich und der Schweiz. Ich denke, die Jungs tun sich grundsätzlich mit dem deutschsprachigen Ausland etwas leichter als z.B. mit Portugal. Dort gibt es zwar eine überragende Liga mit jungen Spielern, aber für uns muss alles passen: Sprache, Umfeld, Kultur. Erfahrungsgemäß und strategisch wissen wir mit welchen Ligen wir zusammenzuarbeiten wollen – auch wenn wir nichts ausschließen. Ich bin mittlerweile in diesen Ligen und natürlich auch in Deutschland sehr gut mit den wichtigsten Akteuren vernetzt.

Kannst du die Wahl der Vereine an einem konkreten Beispiel aufzeigen?

Schauen wir auf Nürnberg: Der FCN hat vergangene Saison Tom Krauß und Dennis Borkowski von uns ausgeliehen und für uns bzw. auch mit uns ausgebildet. Die Jungs haben die entsprechende Qualität gezeigt und ihnen wurde die Chance gegeben zu spielen. Sie haben gut performed und damit auch Nürnberg sportlich geholfen. So ist es am Ende eine Win-win-Situation, ein Geben und Nehmen. Die zentrale Frage muss immer sein: Was können wir gemeinsam erreichen? Damit baut sich eine produktive Synergie für RB Leipzig und den jeweiligen Leih-Club auf. 

Schaut man bei der Wahl der Vereine auch darauf, dass ein ähnlicher Fußball gespielt wird wie bei RB Leipzig?

Ja und nein!

Ja, weil es sehr wertvoll ist, wenn die Spieler aufgrund einer neuen Spielphilosophie die Art des Fußballs nicht neu lernen müssen, denn so kann die Vermittlung schwierig werden – sportlich, sprachlich und inhaltlich.

Nein, weil das oberste Ziel ist: Die höchstmögliche Chance auf Spielpraxis auf höchstmöglichem Niveau!

Nach allen Erfahrungen, die wir gesammelt haben, sagen wir: Spielpraxis schlägt alles!

Schauen wir beispielsweise auf unsere Profi-Mannschaft: Ibrahima Konaté oder Lukas Klostermann kamen auch nicht von Vereinen mit einem ähnlichen Fußball. Diese Spieler hatten Talent und konnten sich mit viel Spielpraxis weiterentwickeln. Vor allem haben sie früh die Chance bekommen, im Profibereich auf höchstem Niveau zu spielen. Wichtig ist ein ähnlicher Fußball schon, aber es ist nicht das Entscheidende. Es ist insgesamt ein Evaluierungsprozess, was v.a. das Talente-Gremium bewertet und danach handelt. 

Was ist das Talente-Gremium?

Im Talente-Gremium treffen sich die „Sportliche Leitung des Clubs“ und die „Leitung Nachwuchs“ einmal im Monat. Dabei tauschen wir uns über Entwicklungsverläufe aus und überlegen, welcher Spieler wann und wo den nächsten für ihn richtigen Entwicklungsschritt in den Profibereich hinein gehen könnte, um letztlich die Durchlässigkeit der RBL-Nachwuchsspieler in den Profibereich zu erhöhen.

Ich formuliere konkrete Vorschläge und Zielstellungen – aber treffe natürlich die Entscheidung nicht alleine, ob z.B. Tom Krauß nach Nürnberg geht oder Fabrice Hartmann nach Paderborn. Das entscheiden wir gemeinsam und selbstverständlich auch mit dem Spieler.

Dieser Prozess ist immer wieder aufs Neue eine Herausforderung, weil es viele Stakeholder gibt: Spieler, Ausbildung, Umfeld, Eltern, Berater – und auch der potenzielle Leih-Club. Es muss idealerweise alles zusammenpassen. Alle müssen davon überzeugt sein, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen. Dabei geht es natürlich auch um Verträge und Geld – so ehrlich müssen wir sein. Wir leben in einer kommerziellen Welt. Alle diese Stakeholder mit ins Boot zu bekommen, ist durchaus herausfordernd.

Wer genau gehört diesem Gremium an?

Neben dem Technischen Direktor Christopher Vivell, Sportkoordinator Felix Krüger und Leiter Lizenzspieler Frank Aehlig natürlich Sebastian Kegel als Leiter Sport Nachwuchs, Christian Streit als Leiter Akademie und Organisation Nachwuchs sowie Marcus Darmochwal als Leiter Spielbetrieb und Vertragswesen im Nachwuchs – und meine Wenigkeit.

Wir sind ein gutes Team in diesem Gremium. Das Career Center ist ein Konzept, bei dem wir sicher sind, dass das Thema Durchlässigkeit strategisch gelingen wird. Dafür stehen wir als innovativer Verein mit eigenen Ideen. 

Dass es bisher keinem Nachwuchsspieler nachhaltig gelungen ist, sich im Profikader zu etablieren, wird allerdings häufig kritisiert …

Es steht immer die Frage im Raum: Wann gibt es Ergebnisse in der Durchlässigkeit und wann schafft es RB Leipzig, dass einer der ausgebildeten Spieler in der Red Bull Arena regelmäßig spielt. Und es ist auch wichtig, dass dies konstruktiv diskutiert wird.

Aber an den verliehenen Spielern und deren Leistungen in den Vereinen sieht man, dass unsere Ausbildung top ist und wir auf dem richtigen Weg sind.

Der RBL-Look

Bestenfalls kommen die Jungs von der Leihe wieder und steigen in die Profimannschaft ein?

Exakt! Ideal wäre: Die Spieler kommen nach Leipzig zurück, übernehmen einen guten Kaderplatz und spielen eine geile Saison mit 15 Einsätzen und mehr.

Ich habe mir als klares Ziel gesetzt, dass in den kommenden drei Jahren, mindestens ein Spieler – über eine Leihe oder auch direkt – hier bei uns in der Red Bull Arena regelmäßig spielen wird. Und das traue ich den Jungs absolut zu.

Solange sie spielen und eine Plattform bekommen, wo sie sich auf Profi-Niveau weiterentwickeln können, werden sie besser. Dann kommt man zu dem Punkt, an dem man entscheiden muss: Traut man ihnen den Sprung in die 1. Mannschaft in Leipzig zu oder eben nicht. Eins ist aber jetzt schon sicher: Diese Leihen werden sich absolut lohnen – das bestätigen die Erfahrungswerte aus dem ersten Jahr unseres Career Centers.

Das ist sicherlich auch eine wichtige Bestätigung für den eingeschlagenen Weg, oder?

Auf jeden Fall. Wir sind alle sehr stolz, was unsere Kicker in den anderen Klubs abliefern. Ich bekomme immer mal wieder Flurgespräche hier in der Akademie mit, wie stolz die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Jungs sprechen, denn alle haben sie ja ein Stück weit mitbegleitet und damit einen Anteil an der Entwicklung – das ist großartig.

Ich denke, in der Saison 2022/23 kann es jemanden geben, der in unserem Profikader angekommen ist. Das traue ich dem einen oder anderen zu. Die Jungs sind gut genug – das hat dieses erste Jahr bewiesen. 

Wie schwer ist der Schritt vom Nachwuchstalent in den Profibereich generell?

Ich würde den Traum von vielen, Profifußballer zu werden, niemals kleinreden. Mir wurde von meinen Lehrern auch gesagt, dass ich es niemals schaffen werde. Das ist nicht richtig. Es ist das Schlimmste, was man machen kann, einem kleinen Kind bzw. einem jungen Talent seine Träume zu zerstören.

Doch dann schaut man auf die andere Seite: Was ist realistisch? Den Traum wirklich in die Tat umzusetzen, ist noch einmal eine andere Welt. Es wäre auch komisch, wenn du in der Fußballwelt ganz leicht nach oben kämst. Wenn man überlegt, wie viele Spieler aus unterschiedlichen Ländern und Jahrgängen talentiert sind in der größten Sportart weltweit – dann soll es auch verdammt schwierig sein, ganz oben anzukommen.

Der Traum soll geträumt werden, aber es dann auch in der Realität zu schaffen – das ist brutal schwer!