"Ich fiebere den Spielen mit Fans entgegen!"
Unser Chef-Trainer Domenico Tedesco spricht im Interview über den schönsten Fulltime-Job der Welt, seine Vorfreude auf eine volle Red Bull Arena und seine typischste italienische Eigenschaft
Gerade einmal fünf Wochen liegt Domenico Tedescos erster Arbeitstag als Cheftrainer von RB Leipzig zurück.
Im großen Interview spricht der 36-Jährige über den schönsten Fulltime-Job der Welt, seine Vorfreude auf eine volle Red Bull Arena und seine typischste italienische Eigenschaft.
Domenico, du bist nun seit fünf Wochen Chef-Coach bei RB Leipzig. Zeit für ein erstes Fazit!
Das fällt auf jeden Fall positiv aus. Wir hatten jetzt eine komplette Woche mit der Mannschaft, zuvor waren es ja nur Englische Wochen mit dem Spiel-Rhythmus „Mittwoch-Samstag-Mittwoch-Samstag.“ Diese Zeit hilft – vor allem natürlich auch, um den Verein, die Leute im Verein und die Prozesse besser kennenzulernen. Es sind viele neue Gesichter, viele Eindrücke und macht richtig Spaß.
Hat dich etwas besonders überrascht bei RB Leipzig?
Nicht unbedingt. Ich war 2015 für zwei Monate als Hospitant bei RB Leipzig und kannte daher Club und Stadt schon ein stückweit. Damals hatte ich aber etwas mehr Zeit, um in Leipzig unterwegs zu sein. Seitdem ich Cheftrainer bin, war ich bislang nur zweimal in der Stadt, als wir mit dem Staff Essen gegangen sind.
Vergleichst du die Zeit 2015 mit heute?
Damals war RB Leipzig Zweitligist, heute ist der Verein ein Top-Club in der ersten Liga mit einem Super-Kader. Aber auch schon 2015 habe ich gemerkt, dass hier richtig gute Strukturen sind und wo es bei den Roten Bullen langgeht. Und vor allem hatte RB Leipzig auch schon in der 2. Bundesliga eine richtig starke Mannschaft mit vielen Jungs, die heute noch da sind: Péter Gulácsi, Willi Orban, Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann, Emil Forsberg und Yussuf Poulsen. Aber viel mehr kann ich nicht vergleichen – es ist einfach ein größerer Club geworden und die Jungs haben sich wahnsinnig weiterentwickelt.
Diese Entwicklung kannst du nun aktiv begleiten. Wie schaut für dich ein Tag als Cheftrainer von RB Leipzig aus?
Im Grunde beginnt jeder Trainingstag schon am Vorabend. Dann bereiten wir alles gründlich vor. Wir wissen eigentlich auch immer schon am Samstagabend oder Sonntag, wie die kommende Trainingswoche ausschauen wird. Wie viele Einheiten haben wir pro Tag? Wann ist das nächste Spiel? Wer ist der nächste Gegner? Danach planen wir die Inhalte. Die sind natürlich nicht in Stein gemeißelt. Wenn zum Beispiel am Dienstag neue Erkenntnisse hinzukommen, vielleicht ein Spieler krank wird oder wir einen anderen Schwerpunkt brauchen, können wir auch Inhalte tauschen. Aber es ist unsere Basis, dass die tägliche Arbeit jeder Woche schon frühzeitig geplant ist – und dann geht der Tag für mich meistens um 07.30 Uhr los.
Erst?
(Lacht) Ich weiß – ihr seid immer schon um halb sechs da.
Im Ernst. Das ist schon ein früher Start!
Das ist aber immens wichtig. Morgens haben wir eineinhalb bis zwei Stunden Zeit bis zum Training. Die nutzen wir unter anderem für die Sitzungen mit der medizinischen Abteilung, die Videoanalyse wird vorbereitet – und wir frühstücken zusammen. Wir gehen am Morgen von den groben Planung in die Detailanalyse: Wie viele Spieler haben wir tatsächlich zur Verfügung? Was sind die konkreten Inhalte und Coaching-Punkte für jede Trainingsform? Nach dem Training folgt immer die Nachbereitung. Jedes Training wird per Video aufgezeichnet und wir schauen uns alles noch einmal an. Wir werten alles aus und schauen, was wir für das nächste Spiel schon mitnehmen können und planen zum Beispiel auch die Einzelgespräche mit den Spielern.
Wir werten alles aus. Jedes Training wird per Video aufgezeichnet.
Egal wie spät wir das Office verlassen, in den Trainer-Büros brennt immer noch Licht. Ist es ein 24/7-Job?
Jetzt am Anfang auf jeden Fall. Wir haben jetzt einfach noch mehr zu tun, um unsere Inhalte zu vermitteln – das ist im Grunde wie in einer Saisonvorbereitung. Da gibt es keinen frühen Feierabend.
Wie schaffst du es trotzdem, mal abzuschalten oder eine Auszeit zu nehmen?
Wichtig ist zunächst, dass wir uns sehr wohlfühlen hier im Trainingszentrum. Das Essen ist ein echtes Highlight – unser Küchenteam kocht wirklich unfassbar gut. Es ist ein schönes Ritual, dass wir im Trainerteam oft gemeinsam essen. An Trainingstagen mit drei Einheiten sitzen wir so bis zu dreimal beim Essen zusammen und das sind gute Momente zum Abschalten, weil wir dann auch über viele andere Dinge und nicht nur über den Fußball reden. Es gibt auch immer mal wieder eine Kaffeerunde bei uns im Büro, wo locker gequatscht wird, was einfach Spaß gemacht.
Also hast du auch deine Auszeiten hauptsächlich am Cottaweg?
Aktuell schon. Aber wenn alles steht, die ersten Wochen vorbei sind und die Englischen Wochen beginnen, ist es von der Power her sowieso nicht möglich, jeden Tag von 07.00 bis 22.00 Uhr im Trainingszentrum zu sein. Da es ist es mir wichtig, dem Staff auch mal zu sagen: „Ab nach Hause!“. Und wenn die Arbeit erledigt ist, geht man eben auch mal bereits um 16.00 Uhr.
Du giltst als Sprachtalent und sprichst neben Englisch und Italienisch auch Spanisch, Französisch und Russisch. Ist das für dich ein Hobby zum Runterfahren?
Es ist doch eher Arbeit für mich. Ich würde nicht jeden Tag Französisch sprechen, wenn ich es nicht für meinen Job brauchen würden, eben weil wir französischsprachige Spieler im Team haben. Von daher ist es mehr Job als Hobby. Für einen freien Kopf ist vor allem Sport mein Ausgleich, ich gehe gern Laufen oder Radfahren oder schaue mir Filme und Dokumentationen an.
Was ist deiner aktueller Film-Favorit?
Zuletzt habe ich mir „The Unforgivable“ mit Sandra Bullock angesehen. Sehr zu empfehlen. Aber ich schaue viele Sachen, folge keinem bestimmten Genre. Außerdem gehe ich sehr gern Essen und weiß, dass Leipzig dahingehend viel zu bieten hat, auch wenn es die aktuelle Corona-Situation schwermacht, in der Stadt nach Feierabend entspannt Essen zu gehen.
Stichwort Corona: Aktuell spielen wir weiterhin ohne Fans im Stadion. Hat das Auswirkungen auf deine Art des Coachings?
Eigentlich ist es egal, ich coache jetzt genauso wie ich es zu Spielen mit vielen Fans im Stadion machen würde. Der Unterschied ist, dass jetzt für die Spieler alles viel klarer zu hören ist. Der Unterschied, ob wir mit oder ohne Fans spielen, liegt ganz klar auf emotionaler Ebene. Wir hatten bislang ein Auswärtsspiel in Augsburg und drei Heimspiele in Leipzig und im Grunde gibt es kaum einen Unterschied, bis auf die Anreise, die entfällt. Der Heimvorteil entfällt weitestgehend. Ich habe aktuell gar keinen Kontakt zu den Fans – und das ist es aber, was es für mich ausmacht und für mich den Spaß am Fußball bedeutet.
Du kennst die Red Bull Arena immerhin aus deiner Zeit als Schalke-Trainer als ausverkauftes Stadion. Hat sich die Kulisse bei dir eingeprägt?
Ja, absolut! Mit Schalke habe ich in der Vizemeisterschaft-Saison zum Rückrundenauftakt mit 1:3 hier in Leipzig verloren. Das Stadion war voll, ein super Spiel, eine super Stimmung. Und man hat gespürt, dass sofort ein Raunen aufkam, wenn RB Leipzig über die Mittelinie kam. Das war schon top und die Fans haben das Team extrem getragen. Als Auswärtsmannschaft war es schwer, hier gegen das volle Stadion anzuspielen.
Und hoffentlich wird es bald wieder ein volles Stadion geben. Auf was können sich unsere Fans freuen?
Wir wollen zu Hause eine Macht sein. Mit den Fans im Rücken können wir daheim noch mehr Stärke ausstrahlen und ich fiebere dem Tag entgegen, wenn es endlich wieder soweit ist. Unser Stadion mit unseren Fans im Rücken soll für alle Auswärtsteams ein Statement sein, wenn sie hierherkommen. Aber auch auswärts sind die Fans wichtig und auch da wollen und müssen wir punkten.
Am besten direkt am Samstag in Stuttgart, wenn auch da ohne Zuschauer. Ist das Duell beim VfB ein spezielles Spiel für dich?
Es ist schon was Besonderes für mich. Wir haben acht Jahre lang nur 500 Meter vom Stadion entfernt gewohnt. Ich habe als Trainer beim VfB angefangen, fast jede Jugendmannschaft trainiert. Ich war als Kind im Stadion. Von der Heimat her ist der VfB mein Verein. Aber ich steige nicht in den Flieger und bin nervös, weil es nun nach Stuttgart geht. Ich steige in den Flieger zum Auswärtsspiel mit RB Leipzig beim VfB Stuttgart, und das Spiel wollen wir gewinnen. Da ist man schnell voll im Tunnel.
Ich habe aktuell gar keinen Kontakt zu den Fans – und das ist es aber, was es für mich ausmacht und für mich den Spaß am Fußball bedeutet.
Heimat ist für dich auch Italien. Wie viel Italien steckt in Domenico Tedesco?
(Lacht) Das werde ich immer wieder gefragt. In mir ist schon viel Italienisch, meine Eltern sind beide Italiener. Wir sind zwar bereits nach Deutschland gezogen, als ich zweieinhalb war, aber wir waren in jedem Sommerurlaub in Italien und haben auch heute noch viele Verwandte dort. In mir tickt also vieles Italienisch.
Auch die Emotionalität? Du bist ja schon als ein positiver Vulkan bekannt …
Das stimmt, aber in Leipzig ging es bislang noch, oder?
Ja, aber ist schon klasse zu sehen, wie du an der Seitenlinie mitgehst!
Das steckt in mir drin und macht für mich den Fußball aus. Da ist auch nie etwas gespielt. Aber ohne Fans fehlt das Entscheidende für die absolute Emotionalität. Das einzig Gute daran ist, dass man sich als Trainer noch etwas mehr fokussieren kann. Je weniger Emotionen man hat, umso mehr ist man in der Sache, im Spiel drin. Es ist für mich gerade ein guter Prozess und eine gute Balance. Aber die emotionalen Ausbrüche werdet ihr schon früh genug erleben (Lacht).
Du legst am Seitenrand auch schon mal Gegenstände zusammen, um etwas Taktisches zu erklären. Wie nimmst du deine Rolle als Trainer bei Spielen wahr?
Es ist viel Taktik und letztlich bin ich ständig am Analysieren. Wo hat der Gegner Räume, wenn wir den Ball gewinnen oder verlieren? Wo haben wir wiederum Räume für unser Spiel? Wie ist der Spielaufbau? Was funktioniert und wie verhält sich ein Spieler? Wir sammeln ständig Eindrücke, um diese für die Halbzeitanalyse zu nutzen. Dahingehend haben wir ein sehr gutes Video-Analysten-Team, dass in der Pause die passenden Szenen parat hat. Dennoch muss du als Trainer eine gewisse Grundidee haben, was gut und was schlecht war. Demnach nehme ich meine Rolle vor allem sehr analytisch wahr.
Abschließend ein Blick in die Zukunft. Du hast schon viel erlebt, dir viel erarbeitet. Hast du einen bestimmten Traum?
Was für mich wichtig ist, ist Gesundheit, auch unabhängig von der aktuellen Situation. Man schaut in die Zukunft und fragt sich, was in zehn oder 20 Jahren sein wird. Dann hat man erwachsene Kinder – das möchte ich erleben können und wünsche mir, dass alle um mich herum gesund sind. Dass wäre schon sehr schön, aber das kann man leider nur zu einem gewissen Grad beeinflussen.
Ansonsten bin ich sehr zufrieden. Ich habe einen tollen Job, der mir viel Spaß macht. Ich kann den Beruf ausüben, den ich liebe. Klar – es kann der schönste und der hässlichste Job sein, je nach Ergebnis, aber es ist einfach richtig geil, im Fußball arbeiten zu dürfen.